Montag, 8. Oktober 2012

Von Lanzenbrüchen, S-Bahn-Lektüren und glücklichen Singles

Wenn man den Charakter eines Menschen sonst nicht zu fassen vermag, charakterisiert man ihn gerne mithilfe von Krücken, etwa einen für die Person typischen Gegenstand.

Kaum eine Sache fasst die Situation und die Einstellung meiner besten Freundin zusammen als ein Büchlein, das ich zufällig unter ihren Bergen von Naschkram, Beauty-Zubehör und DVDs entdeckt habe: „111 Gründe, Single zu sein – Eine Liebeserklärung an die Unabhängigkeit“.
Mangels einer Lektüre für die stolzen fünfeinhalb S-Bahn-Minuten von ihr zu mir und weil mich die Menschen auf dem Cover so vertrauenserweckend angrinsten, habe ich mir dieses Oevre von Angela Meier-Jakobsen sogleich gekrallt (gelobt sei der für enge Freundschaften übliche Kommunismus!) … und was als seichte Lektüre für unterwegs begann, endete als Anstoß für tief gehende philosophische Überlegungen über das Wesen des Menschen.

Gibt es glückliche Singles? Diese ewige Frage kann leider nicht erschöpfend mit meiner besten Freundin erörtern – ihre überaus gefestigte und zum Teil vom Buch geprägte Meinung macht sie immun gegen meine Lanzenbruch-Versuche. Bevor ich mich in psychologische Gefilde verirre, im emotionalen Morast versinke und meine Lieblingsklamotten im Freud’schen Dornengarten ruiniere – das Buch an sich.

Wie uns das Sandwichmodell aus schulischen Projektprojekten gelehrt hat: zuerst das Positive. Nun, seine Funktion als leichte Ratgeberkost für unterwegs erfüllt das Büchlein hinreichend. Es ist leicht zu lesen in einem angedeutet bissigen, wenngleich für meinen Geschmack zahnlos bleibenden Stil, flott und auf den ersten Blick Seite für Seite abnickenswert.

Ein zweites Mal jedoch konnte ich „111 Gründe, ein Single zu sein“ nicht lesen, ohne unter der Last nagender Gegenargumente den Kopf zu schütteln. Die meisten Gründe sind entweder vage, widersprüchlich („Weil Singles sich nicht die Beine enthaaren müssen, es aber trotzdem tun“ – nur ein ebenso kurioses wie selbsterklärendes Beispiel) oder aber sie lassen sich durch geringfügige Änderungen ebenso für die „Gegenseite“ verwenden. Diese Wahrnehmung liegt zu einem Teil an meinem krankhaften Beziehungsenthusiasmus, zum anderen aber auch an der Argumentation der Autorin.

Diese nährt sich von einem in meinen Augen unverständlichen, verzerrten Menschen- und Beziehungsbild. Die meisten Kritikpunkte, vom durch den Partner leergefutterten Kühlschrank über Freizeitaktivitäten bis hin zu Fernbedienungskriegen fußen auf der grundlegenden Unterstellung eines Mangels in Beziehungen: des Mangels an Kommunikation. Wäre der Homo vergebenus wirklich, wie laut Meier-Jacobsen, ein durch Kinderspielzeug und Weihnachtslametta gefesseltes Hybridwesen mit einem fest zugetackerten Mund … ja, dann wäre ein Single-Leben vielleicht sogar erstrebenswert.

In der (Beziehungs-)Realität ließen sich jedoch die meisten von der Autorin skizzierten Katastrophen durch schieres Teufelswerk lösen: Reden. Und durch Kompromisse, die nicht einmal dem stolzesten und unabhängigsten Single-Ego einen Zacken aus der Krone brechen würden. Durch Absprachen lässt sich, man glaubt es kaum, sogar vermeiden, dass der geliebte Partner über spätes Heimkommen nölt.
„Schatz, diesen Joghurt habe ich für meine Diät gekauft, bitte lass die Finger davon“, „Lass uns einen faulen Abend machen, dafür gehe ich mit dir nächstes Wochenende in die Berge wandern“ … sind derartige Sätze für manche Menschen wirklich so aussprechbar, dass sie lieber allein bleiben, als sich daran die Zähne auszubeißen?
Vielleicht hänge ich naiv dem „Man kann in einer Beziehung über alles reden“-Glauben an, weil ich selbst mit einem zum Erbrechen verständnisvollen und diplomatischen Partner gestraft bin. Aber selbst in größter Verbitterung wäre für mich „Als Single futtert mir niemand mein Lieblingsessen weg“ kein stichhaltiges Argument.

Ein ganz und gar bodenständiger Komplex von Gründen, darunter: „Weil Singles allen Geräuschen freien Lauf lassen können“, fällt unter die Rubrik „Als Single kann man sein zum Teil ekliges Selbst in all seiner Schlabbrigkeit ausleben“ (gleichzeitig existiert aber auch das Kapitel „Weil Singles sich nicht gehen lassen“).
Kann man das gerade in einer langfristigen Beziehung denn nicht erst recht? Sich mit dem Partner in Jogginghosen auf der Couch zu fläzen hat nicht unbedingt etwas mit Abnutzungserscheinungen der Beziehung zu tun, ebensowenig muss man Alarm schlagen, wenn die Beziehung eines Tages den Punkt erreicht: „Hast du gerade gepupst?“ – „Ja, und wie!“ Eine Frage der Vertrautheit, die Verfechter der Single-Philosophie nur zu gern als Langeweile interpretieren.
Dabei kann, darf und sollte man sich in einer Beziehung genauso aufbrezeln, feiern gehen und alles, was das Herz begehrt. Ja, gut duften und die Beine rasieren, nicht nur für ein neues Date, Frau, verzeihung, Fräulein Jakobsen.

Des weiteren leidet die Überzeugungskraft des Buchs unter den spürbaren Bemühungen, die magische 111 vollzukriegen, durch zum Teil wenig einleuchtende Alltagsthesen. „Weil Singles bei Ikea nicht streiten“ – wie tröstlich ist für Frischgetrennte wohl die Aussicht, sich endlich ohne Gegenwind das Vintage-Sofa mit Blümchenmuster in ihr Single-Wohnzimmer stellen zu können?
Manche Kapitel präsentieren völlig neutrale Dinge wie Haustiere, Patenschaften und Taxifahrten als speziellen Single-Verdienst. „Weil Singles aus der Kirche austreten“ – wie, dürfen Vergebene das nicht? Und bei der 3. Abwandlung des Grundarguments „Singles können ausschlafen und brauchen keine Rücksicht auf die Schlafgewohnheiten eines Partners zu nehmen“ unterstelle ich der Autorin endgültig, dass ihr langsam die Gründe ausgehen.

Fazit? Achtung, jetzt kommt nebst Suggestivfragen eine weitere Floskel, für die mich die Schreibgötter mit einem strafenden Blitz rösten sollten: Man kann es so und so sehen.
Ob man den Argumenten zustimmt oder nicht, alles eine Frage des Abwägens: Genießt man beim Heimkommen Totenstille oder einen Begrüßungskuss? Möchte man von einem Hund dabei freudig angebellt oder von einem Partner nach dem eigenem Tag gefragt werden? Was ist wertvoller: Von potentiellen Flirtpartnern immer wieder neue Geschichten hören oder sich mit dem Partner an gemeinsame Momente erinnern? Singles genießen immer wieder Flirts, küssen und begatten immer wieder neue Leute, argumentiert Meier-Jakobsen. Sie gehen auf die Piste, erleben viel – aber erleben sie auch die Wärme, nach einem langen Tag in den Armen des festen Partners einzuschlafen? Ist das Wissen um die Vorlieben des Partners ein sofortiges Todesurteil für ein Sexleben, welches sich nur durch eine Reihe wilder Single-Affären wiederbeleben lässt?
Ist eine Beziehung Opfer der eigenen Freiheit, wann immer man will in eine leere, aufgeräumte, stylische Wohnung zurückzukommen und nur für sich Single-Portionen zu kochen – oder die Bereicherung an einem Gegenüber, das einen auch verkatert und morgenmufflig akzeptiert? Das entscheide jeder für sich.

2 Kommentare:

  1. Allein durch den Titel des Buchs hätte ich wohl auch darin gestöbert, aber so wie sich der Inhalt anhört, wäre ich nichteinmal bis zur Hälfte gekommen. Ich erkenne schon vermeintliche Vorteile, ein Single zu sein und doch würde ich eine Beziehung jederzeit vorziehen. Eigene Aussagen, wie "ich bin glücklich ein Single zu sein" sind entweder gelogen oder lange genug eingeredet - das sagt jemand, der sich selbst schon dies und jenes eingeredet hat.

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  2. Danke für diesen Denkanstoß am Abend, und danke für den mich zum schmunzelnbringenden Text. Das Abo hat sich echt gelohnt.

    Ich persönlich denke, das jeder Single seine Gründe hat, Single zu sein. Wenns ihm gefällt, bitte. Wenn nicht, kann er ja versuchen, es zu ändern. Das soll jeder selbst entscheiden.

    Mit besten Grüßen

    Keren

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