Samstag, 29. Juni 2013

Früher war alles besser. Pepperidge Farm remembers.



„You either die a hero or live long enough to see yourself become the villain” - wie oft wurde früher dieser Spruch auf 9gag zitiert, in allen möglichen Zusammenhängen? Traurigerweise umschreibt er mittlerweile die Entwicklung der Seite. 

Über 9gag könnte man ganze Sozialstudien schreiben, schließlich war die Seite früher so etwas wie das Sprachrohr des kleinen Mannes. Okay, genauer gesagt, das Sprachrohr kindlicher, erfolgloser Kultisten einer nerdigen Katzensekte, aber der Punkt ist: Man brauchte keine Nachrichten lesen, um zu wissen, was in der Welt geschah. Man durchforstete 9gag wie die Morgenzeitung und erkannte aktuelle Entwicklungen daran, wie sie in Ragecomics und alten Meme-Prototypen durch den Kakao gezogen wurden. Belohnt wurde man mit HD-Bildern neuer Weltwunder, aus dem Leben gegriffenen Comics, interessanten Life-Hacks und natürlich – Katzenbildern.

Das war, bevor sich auch diese Funpage der Idiokratie unterwarf und pubertierende Hipster, die mangels Kreativität auf Instagram und Tumblr unbeachtet versauerten, getrieben von ihrem „Bitte nehmt mich ernst, auch wenn man auf meinem Profilbild in Facebook mehr Ausschnitt als Gesicht sieht“-Weltschmerz das Ruder übernahmen. Und alles, was früher die einzigartige 9gag-Kultur ausmachte, verflachte.

Bekannte Situationen des alltäglichen Lebens pointiert abzubilden („relatable post“), den ganz normalen Wahnsinn in 1-2 Sätzen auf den Punkt zu bringen ist eine Sache. Belanglosigkeiten in banalen Konstruktionen breitzutreten ist eine ganz andere.
Natürlich machen sich Leute, die die richtige Verwendung von Memes viel zu eng sehen, fast genausoviele Freunde wie Zwangsneurotiker, die mit hektischen roten Flecken im Gesicht immer und überall Grammatik und Rechtschreibung korrigieren. Leider ist die Meme-Verwendung mittlerweile so vorhersehbar, dass Puristen der alten Schule beim besten Willen nicht auf ihre Kosten kommen. Die Grundaussagen der gängigsten 9gag-Helden sind immer die gleichen.

Scumbag Stacy: „Mimimi, meine Ex war böse zu mir, aber ich habe es mit mir machen lassen, weil sie verdammt scharf war, genau wie die Porno-Queen auf dem Bild, deshalb mache ich ganz viele Posts über meine böse Ex, um den heißen Meme zu besabbern.“
Scumbag Steve: „Mein Kumpel ist so gemein, der nutzt mich aus, macht mich psychisch fertig, hilft nie mit und verwüstet meine Bude. Aber da ich weder Rückgrat noch richtige Freunde habe, lasse ich es ihm durchgehen und kanalisiere meine passiven Aggressionen in einen langweiligen Post.“
Confession Bear: „Ich bin so mutig und gebe in der Dorfanonymität des Internets mein dunkelstes Geheimnis preis – manchmal pinkele ich ins Schwimmbecken. Aber verurteilt mich nicht, denn bestimmt habt ihr alle schon mal ins Schwimmbecken gepinkelt. Also ehrt mich gefälligst mit Likes, weil ich etwas zugegeben habe, das niemand wissen wollte!“
Advice Duck: „Ernähre dich gesund, bleibe deiner Freundin treu, lüg nicht, stiehl nicht, lass dich nicht auf falsche Menschen ein, mach immer deine Hausaufgaben. Befolge also die Binsenweisheiten deiner Eltern, auch wenn sie in ihrer Erziehung so versagt haben, dass du mehr auf eine Ente hörst als auf sie.“  
Bad Luck Brian: „Ich bin miserabel dran, aber um mich selbst aufzubauen, erfinde ich Worst-Case-Szenarios, wie jemand noch miserabler dran sein könnte. Haha, ist das nicht witzig? Bin ich froh, dass ich nicht so ein extremer Pechvogel bin!“
Success Kid: „Juhu, ein Mädchen hat mich angeschaut! Endlich hat sie mich bemerkt und sich über beide Ohren in mich verliebt. Jungfräulichkeit ade! Außerdem musste ich heute beim Gamestop nicht Schlange stehen, und einen Glückscent habe ich auch auf der Straße gefunden. Bin ich nicht toll?“
Und das alles gekrönt von dem obligatorischen Titel: „Das ist mir heute erst passiert, kein Scheiß! Okay, letzte Woche. Okay, nicht mir, sondern dem Bruder eines Schwagers. Okay, es nicht nicht wirklich passiert, sondern ich habe von jemand aufgeschnappt, dass er gelesen hat, dass sowas vielleicht in der Realität möglich ist.“

Sollte im Internet das Prinzip „Abstimmen durch Klicks“ nicht wunderbar funktionieren?
Klar, 9gag definierte sich seit eher als ein Verband von Individuen, die, mangels der Fähigkeit oder Motivation, Missstände aktiv zu verändern, lieber Witzchen über diese reißen. Aber gerade hier hätten sie eine reale Chance, Banalitäten und Einheitsbrei von der Hotpage zu verbannen! Wenn also all die Lager der Kommentatoren, von Grammar Nazis über zeigefingerwedelnde Gutmenschen bis hin zu „Oh, Titten!“-Einfaltspinseln, geschlossen dem Verfall den Rücken kehren, könnte 9gag vielleicht sogar wieder witzig werden. 9gag 2.0.

Vielleicht ist es aber auch schon zu spät. Vielleicht sollte man einfach Grumpy Cat mit Scumbag Steve kreuzen, diese apokalyptische Kreatur auf 9gag loslassen und entspannt zusehen, wie die herzzerreißenden Posts frustrierter 13-jähriger Hipster in einem Inferno aus Dislikes und zynischen Kommentaren untergehen. 9gag ist tot, es lebe 9gag!